Erste Gerichtsverhandlung gegen Pro-Choice Symphatisantin

Am 23. März 2024 kam es rund um eine Kundgebung von Abtreibungsgegner*innen erneut zu massiver Polizeigewalt und Repressionen gegen Pro Choice Symphatisant*innen in Innsbruck. 

Wie Videobeweise belegen, ging die Exekutive rabiat gegen Menschen vor, die von ihrem demokratischen Recht auf öffentliche Meinungsäusserung Gebrauch machen und an einem Gegenprotest teilnehmen wollten. In der heutigen Verhandlungen standen aber nicht etwa die Polizist*innen vor Gericht, um sich für die dokumentierte Polizeigewalt und ihr unverältnismäßiges Vorgehen zu rechtfertigen sondern eine junge Frau. 

Die Vorwürfe

Ihr wurde einerseits Störung einer Versammlung nach § 285 StGB vorgeworfen. Bereits nach dem friedlichen und legitimen Protest mit über 1000 Demonstrant*innen am 14. Jänner 2023 gegen Abtreibungsgegner*innen, versuchte die Polizei mehr als 20 Aktivist*innen mit diesem Paragrafen einzuschüchtern. Die Verfahren wurden nach knapp einem Jahr eingestellt – die Anschuldigungen der Polizei befand die Staatsanwaltschaft für haltlos. 

Andererseits, und das ist der wohl skandalösere Teil des Prozesses, wurde der Angeklagten auch schwere Körperverletzung nach §§83 Abs 2, 84 Abs StGB vorgeworfen. Nicht etwa, weil die Verletzung schwer war, die der Polizist angeblich erlitten haben soll, sondern weil die Verletzung eines Beamten immer mit dem schwerstmöglichen Paragraf verhandelt wird. 

Doch wie kam es zu dieser „Verletzung“?

Die Angeklagte schildert uns ungute Szenen: Die Polizei hat ein überfülltes Lokal komplett umstellt und lässt bei der Vordertüre niemanden rein und raus. Sie vermutet, die Gegendemonstrant*innen seien dort versammelt. Viele Gäste werden panisch, die Angeklagte auch. Sie fühlt sich eingeschlossen und sucht irgendeinen Weg, nach draussen zu kommen. Das gelingt durch die Hintertüre. Dort wird sie beim Versuch frische Luft zu holen von zwei männlichen Polizisten mit Gewalt zu Boden gedrückt und gegen ihren Willen weggetragen. Sie hat keine Möglichkeit, sich zu erklären. Sie wird in Handschellen abgeführt und im Polizeianhaltezentrum wie eine Schwerverbrecherin behandelt. Eine erkennungsdienstliche Behandlung (Foto, Fingerabdrücke) soll durchgeführt werden, weil die Vorwürfe strafrechtlicher Natur seien:  Sie habe „den Beamten während bzw. wegen der Vollziehung seiner Aufgaben misshandelt und dadurch zumindest fahrlässig am Körper in Form einer Prellung im Bereich des linken Schlüsselbeins samt leichter Schwellung und Rötung verletzt“. Auf den Fotos: ein kleiner roter Fleck, kaum erkennbar. 

Für uns klingt das nach klassischer Täter-Opfer Umkehr und Schikane !

Es muss wohl eine Anweisung von oben für die Polizisten gegeben haben, jeden Gegenprotest zu ersticken, wenn nötig mit Gewalt. Ansonsten wäre es nie zu dieser Situation gekommen. Denn hätten die Polizisten die junge Frau einfach nur kurz gefragt, wohin sie möchte und was sie wolle, hätte dieser Prozess heute nicht stattfinden müssen. Die Angeklagte ist politisch interessiert und setzt sich für Abtreibungsrechte ein. Auch wenn sie nach draussen gegangen wäre, um ihre Meinung friedlich kundzutun, gäbe es den Polizisten immer noch kein Recht, sie direkt und auf solche Art zu verhaften.

Die Angeklagte bekennt sich schuldig um den Schaden zu begrenzen

Die von der Richterin angebotene Diversion wurde von der jungen Frau angenommen. Sie befürchtete, eine Verurteilung für eine solche Straftat hätte negative Auswirkungen auf ihr ganzes Leben. Da es für ihre Verhaftung keinen Videobeweis gibt und ihre Aussage gegen die mehrerer Polizisten steht, sah der Anwalt kaum eine Chance, mit der Wahrheit einen Freispruch zu erreichen.
Denn wie ein Berliner Rechtsanwalt erst kürzlich recherchiert hat: Richter*innen halten die Aussagen von Polizist*innen für besonders glaubwürdig – zu Unrecht. Ein anderer Rechtsanwalt aus Potsdam bestätigt: Wer rechtswidrig durch die Polizei verletzt wird, hat eine gute Chance, selbst eine Strafanzeige wegen (versuchter) Körperverletzung oder Widerstandes zu kassieren.
Die geforderten 1000 Euro Schmerzensgeld an den Polizisten wurden auf 200 heruntergesetzt. Warum? Die Richterin selbst erkannte, dass es sich dabei, wenn überhaupt „nur um einen blauen Fleck“ handelt.

Auch wenn es heute keinen Freispruch gab und die Polizei ihre Schikane durchsetzen konnte – wir wünschen der jungen Person alles Gute und dass sie ihre Motivation, sich für politische Themen zu interessieren und einzusetzen, nicht verliert.

Es ist nicht zufriedenstellend, dass Menschen vor Gericht keine Chancen haben, Gerechtigkeit herzustellen. Wir lernen daraus erneut, dass die Justiz nicht auf der Seite derer steht, die sich für gerechte Lebensbedingungen für alle einsetzen oder Opfer von Gewalt werden, sondern auf derer die mächtig sind.
Die Richterin bemerkt die Übertreibungen des Beamten, der von einer Verletzung, Schmerztherapie und wochenlangen Leiden berichtet – obwohl er kaum verletzt ist – und weist ihn nicht zurecht?
Die Richterin bezeichnet die Angeklagte als „intolerant gegenüber Andersdenkenden“ – sind nicht die Abtreibungsgegner*innen die wahren Intoleranten?

Warum es legitim und wichtig ist, gegen Abtreibungsgegner*innen zu protestieren:

In Innsbruck zeigen sich selbsternannte „Lebensschützer*innen“ wieder vermehrt auf der Straße. Als Hauptorganisatorin der „Märsche fürs Leben“ tritt die Stiftung „Citizen-Go“ auf, welche europaweit Stimmung gegen Schwangerschaftsabbrüche und sexuelle Aufklärung, aber auch gegen Feminismus und die Rechte von queeren Personen macht. Die Stiftung ist gut vernetzt und pflegt Kontakte zur Neuen Rechten und konservativen Kräften in Europa und den USA. Bei WikiLeaks wurden zehntausende Dokumente veröffentlicht, welche belegen, dass Citizen-Go auch beim queerfeindlichen Gesetz in Ungarn oder beim Abtreibungsverbot in Polen mitgemischt hat. Doch nicht nur der Hintergrund der beteiligten Organisationen ist Grund genug, sich den fundamentalistischen Kräften entschlossen entgegenzusetzen. Weltweit wird das Recht auf körperliche Selbstbestimmung eingeschränkt. Auch in Österreich sind Schwangerschaftsabbrüche weiterhin im Strafgesetzbuch als Straftat (§§ 96–98 StGB) festgeschrieben. Die vor 50 Jahren beschlossene Fristenlösung beschreibt Schwangerschaftsabbrüche nur unter bestimmten Voraussetzungen als straffrei. Schwangerschaftsabbrüche sind von den Betroffenen selbst zu zahlen und zudem auch nicht flächendeckend zugänglich. In Tirol sind chirurgische Abbrüche beispielsweise nur bei einem praktizierenden Arzt möglich. Durch fehlenden Zugang zu professionellen Schwangerschaftsabbrüchen werden ungewollt Schwangere dazu gezwungen, auf gesundheitsgefährdende Methoden zurückzugreifen. Die WHO geht davon aus, dass jährlich um die 47.000 Schwangere durch illegale Abbrüche sterben. Amnesty International schreibt „Der Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen ist ein wesentlicher Bestandteil einer gerechten Gesellschaft und für eine umfängliche Verwirklichung der Menschenrechte unverzichtbar.“

Polizei, Gerichte und Politik Hand in Hand

Was die Polizei gegen die Pro-Choice Bewegung auf der Straße, die Richter*innen im Gerichtssaal und die Politiker*innen im Parlament durchsetzen, geht alles in eine Richtung: Wer sich für Abtreibungsrechte einsetzt, der wird sich die Zähne ausbeissen, auf taube Ohren stoßen und im schlimmsten Fall verhaftet, Opfer von Polizeigewalt und am Ende noch auf Basis fadenscheiniger Begründungen verurteilt!

Das bedeutet aber nicht, dass wir aufgeben. Wir lassen uns nicht einschüchtern! Für uns weiterhin klar: Wir werden auch weiterhin für das Selbestimmungsrecht, für einen sichern und kostenfreien Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen auf die Straße gehen!

Abtreibung ist Menschenrecht!